Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, sind im Katastrophenfall besonders schutzbedürftig. Aktuell gibt es im Landkreis Wesermarsch keine auf Pflegeeinrichtungen zugeschnittenen Konzepte, die beschreiben, wie diese Menschen bei Hochwasser mit Stromausfall besonders geschützt werden können. Eine Säule des Projektes LifeGRID ist es daher, die Katastrophenresilienz, also die Widerstandsfähigkeit bei Katastrophen, von ambulanten und stationären Pflegeinrichtungen sowie pflegenden Familien zu stärken.

 

Pflegebedürftigkeit im Landkreis Wesermarsch

Der Landkreis Wesermarsch ist ein ländlich geprägter Raum mit einer sich rückläufig entwickelnden Bevölkerungszahl. Dabei stieg der Anteil der hochaltrigen Personen (über 80 Jahre) seit 2011 um 37,3% [1]. Höheres Lebensalter geht mit einem erhöhten Risiko für Pflegebedürftigkeit einher (dem Begriff „Pflegebedürftigkeit“ liegt hier die Definition des SGB XI §14 zugrunde). Dementsprechend hat sich auch der Anteil der pflegebedürftigen Personen an der Gesamtbevölkerung im Landkreis Wesermarsch in den Jahren von 2017 bis 2022 von rund 5% auf 7% erhöht [2]. Blickt man auf die zu erwartende Entwicklung der Altersstruktur [3] in der Region, ist anzunehmen, dass der Anteil der pflegebedürftigen Personen weiter steigen wird. Das spiegelt sich auch in Pflegeprognosen wieder. Von den pflegebedürftigen Menschen im Landkreis Wesermarsch wurden 2022 rund 17% in der eigenen Häuslichkeit, 20% vollstationär und 4% teilstationär gepflegt. Rund 51% der pflegebedürftigen Menschen im Landkreis Wesermarsch erhielten 2022 Pflegegeld, wurden also ausschließlich oder mit Unterstützung eines Pflegedienstes durch Angehörige gepflegt und versorgt [2]. Aktuell gibt es im Landkreis Wesermarsch 21 vollstationäre Pflegeeinrichtungen, 8 teilstationäre (Tages-)einrichtungen, 4 selbstständige Wohngemeinschaften sowie 17 ambulante Pflegedienste [4]. In Anbetracht dieses zunehmenden Versorgungsbedarfs von pflegebedürftigen Menschen rückt die Frage in den Fokus, wie diese Personengruppe in Zeiten der zunehmenden Klimakatastrophen geschützt werden kann.

Hilfe- und pflegebedürftige Menschen im Katastrophenfall

Personen, die aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit und/oder Immobilität im täglichen Leben auf die Hilfe anderer angewiesen sind, stellen eine besonders vulnerable, also in ihrer psychischen, sozialen und körperlichen Gesundheit verletzliche Gruppe dar. Kommt es zu dem angenommenen Szenario  (Hochwasser durch Starkregen, verbunden mit einem mehrtägigen Stromausfall), sind die Einsatzkräfte des Katastrophenschutzes an einer Vielzahl von Einsatzorten in der Region eingebunden. Evakuierungskapazitäten stehen unter Umständen erst nach mehreren Tagen zur Verfügung. Gleichzeitig sind Personen mit Pflegebedarf im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung in dieser Situation ganz besonders schutzbedürftig. Pflegeeinrichtungen stehen dann über den gewohnten Versorgungsauftrag hinaus vor der gewaltigen Herausforderung, für den Schutz und gegebenenfalls die Rettung der hilfebedürftigen Menschen (mit) zu sorgen. Auch die Gesetzgebung hat die Notwendigkeit erkannt, dass Pflegeeinrichtungen, sich auf Krisen vorbereiten müssen: Seit 2022 besteht eine gesetzliche Verpflichtung für Pflegeeinrichtungen, individuelle Krisenkonzepte vorzuhalten (vgl. Maßstäbe und Grundsätze für die Qualität, die Qualitätssicherung und -darstellung sowie für die Entwicklung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements (MuG) nach §113 SGB XI). Aktuell gibt es im Landkreis Wesermarsch keine flächendeckenden Konzepte, mit deren Hilfe sich Pflegeeinrichtungen auf einen Katastrophenfall vorbereiten können. Auch gibt es keine strukturellen Verschränkungen zwischen den Pflegeeinrichtungen und den Katastrophenschutzbehörden im Landkreis Wesermarsch. An dieser Leerstelle möchten wir im Projekt LifeGRID ansetzen.

Katastrophenresilienz in der Pflege

Die Verbundpartner von LifeGRID streben an, die Katastrophenresilienz unter gezielter und aktiver Einbindung sowohl der breiten Bevölkerung als auch der Pflegenden und Pflegebedürftigen in ambulanten und stationären Einrichtungen zu stärken. Laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz ist Resilienz die „Fähigkeit von Systemen und Lebewesen, Ereignissen zu widerstehen beziehungsweise sich daran anzupassen und dabei Funktionsfähigkeiten zu erhalten und das Überleben zu sichern“ [5]. Wir verwenden in unserem Projektkontext den Resilienzbegriff als ein Phänomen, das in sozialen Systemen stattfindet. Resilienz bedeutet für uns in dem Zusammenhang, dass soziale Systeme ein Krisenereignis nicht nur überstehen, sondern auch gestärkt daraus hervor gehen [6] können. Für LifeGRID liegt der Fokus in der Resilienz von Gruppen und Organisationen: Wir möchten stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen dabei unterstützen, ihre systemische und organisationsbezogene Resilienz zu stärken.

Was LifeGRID für die Pflege erreichen möchte
  • Um die Katastrophenresilienz in der Pflege zu stärken, möchten wir folgende Ziele erreichen:
  • Pflegeeinrichtungen sollen im Katastrophenfall handlungsfähig sein. Sie sollen selbstständig Maßnahmen zum Schutz der von ihnen betreuten pflegebedürftigen Personen einleiten können.
  • Pflegeeinrichtungen sollen auch im Krisenfall die wichtigsten allgemeinen und pflegerischen Versorgungsmaßnahmen aufrechterhalten können.
  • Pflege(fach)kräfte sollen die nötigen Kompetenzen und damit Handlungssicherheit für eine erfolgreiche Bewältigung eines Katastrophenfalls für unser Szenario erlangen.
  • Zwischen den Pflegeeinrichtungen und den Katastrophenschutzbehörden möchten wir effiziente Kommunikationsstrukturen aufbauen, die im Krisenfall etabliert und nutzbar sind.
  • Wir möchten die infrastrukturellen und technischen Voraussetzungen für den Schutz von Menschen mit Pflegebedarf aufbauen.
  • Wir streben an, dass die Veränderungen nachhaltig auch über den Projektzeitraum verankert sind.
  • Unser Ziel ist es, die entwickelten Konzepte regional sowie bundesweit zu verbreiten.

 

Welche Maßnahmen im Bereich Pflege geplant sind
  • Wir möchten die Pflegeeinrichtungen sowie ihre Mitarbeitenden für die Bedeutung des Themas Katastrophenvorsorge sensibilisieren. Dafür führen wir Bestandsaufnahmen und Interviews in den Einrichtungen durch.
  • Stationäre und ambulante Einrichtungen können mit unserer Unterstützung individuell ausgerichtete Notfallpläne in ihrer Organisation etablieren und umsetzen. Für stationäre Einrichtungen ist in diesem Zusammenhang die Einrichtung einer Notstromeinspeisestelle möglich. Außerdem entwickeln wir für stationäre Pflegeeinrichtungen individuelle Konzepte für die Sicherstellung der Versorgung der Bewohner und Bewohnerinnen mit Lebensmitteln.
  • Für Pflegefachkräfte entwickeln wir Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für den Bereich Katastrophenvorsorge.
  • Die Entwicklung eines (freiwilligen) Pflegeregisters soll es im Katastrophenfall ermöglichen, dass pflege- und hilfsbedürftige Personen durch die Katastrophenschutzbehörden schnell identifiziert werden können, um ihnen passende Hilfeleistungen zukommen zu lassen.

Ein wichtiges Element des Projektes ist die partizipative Einbindung der Menschen, die wir erreichen wollen. Dafür arbeiten wir mit einem Fachbeirat Pflege zusammen, der uns berät. Alle Maßnahmen werden unter Einbezug des Fachbeirats erarbeitet. Die wissenschaftliche Evaluation erfolgt durch die Jade Hochschule. Die Ergebnisse sind regional und bundesweit für eine Weiterverwendung vorgesehen und werden in Fachpublikationen sowie auf dieser Webseite veröffentlicht.

 

 


 Quellenverzeichnis:

[1] Wegweiser Kommune (2024): Entwicklung der Altersgruppen seit 2011. LK Wesermarsch. Online: https://www.wegweiser-kommune.de/daten/altersstrukturgrafik-1+entwicklung-der-altersgruppen-seit-2011+wesermarsch-lk+brake-unterweser+elsfleth+nordenham+berne+butjadingen+jade+ovelgoenne+stadland+lemwerder+2022 (Stand: 13.08.2024)

[2] Wegweiser Kommune (2024): Pflege. Ist-Daten. Deutschland-Niedersachsen-LK Wesermarsch. Online: https://www.wegweiser-kommune.de/daten/pflege+pflegebeduerftige-ambulant+wesermarsch-lk+deutschland+niedersachsen+2006-2022+balkendiagramm (Stand: 14.06.2024)

[3] Wegweiser Kommune (2024): Altersstrukturgrafik. Entwicklungsprognose 2040. Deutschland-Niedersachsen-LK Wesermarsch. Online:  https://www.wegweiser-kommune.de/daten/altersstrukturgrafik+entwicklung-der-altersgruppen+wesermarsch-lk+brake-unterweser+elsfleth+nordenham+berne+butjadingen+jade+ovelgoenne+stadland+lemwerder+deutschland+niedersachsen+2040

[4] Auskunft Landkreis Wesermarsch (2024)

[5] Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (2024): Glossar. Resilienz. Online:  https://www.bbk.bund.de/DE/Infothek/Glossar/_functions/glossar.html?nn=19742&cms_lv2=19836  (Stand: 25.06.2024)

[6] Beerlage, I. (2023): Resilienz von Gemeinschaften, Städten und Gemeinwesen/Community Resilience. 1 Hintergründe, Verständnis und Modelle. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden. Online: https://leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/resilienz-von-gemeinschaften-staedten-und-gemeinwesen-community-resilience-1-hintergruende-verstaendnis-und-modelle/ (Stand: 03.11.2023)